Zwei Tage nach seinem wenig überraschendem Wahlsieg hat der neue britische Premierminister Johnson sein Kabinett beinahe vollständig ausgetauscht – überwiegend mit Brexiteers wohlangemerkt. Ob er die neue Regierung lange halten kann, ist fraglich, besonders da das eigene Volk bereits gegen seine Regierung auf den Straßen Londons aufmarschiert.
Wie erwartet wurde Boris Johnson am Dienstag mit 66 Prozent der Stimmen aller Tories im Land Premierminister von Großbritannien. Sein Ziel, den Brexit bis 31.Oktober zu vollziehen, notfalls auch durch einen harten Ausstieg ohne Abkommen ist in aller Munde. Doch er nimmt sich auch vor Labour-Chef Jeremy Corbyn zu schlagen und das gespaltene Land und seine Partei wieder zu vereinen.
Mit „I’m the dude! – deliver Brexit, unite the country, defeat Corbyn, energise the country“ gibt Johnson bei seiner gestrigen Siegesrede seine Ziele für seine Amtsperiode bekannt. Doch wird ihm das auch gelingen? Und vor allem wie, nachdem seine Vorgängerin May bereits dreimal gescheitert ist? Diese Frage stellen sich momentan viele, aber die Mehrheit der britischen Konservativen scheinen ihm wohl zu vertrauen. Durch seine lautstarke Brexit-Kampagne 2016 als Londons Bürgermeister war er maßgeblich am Austritt Großbritanniens beteiligt und viele behaupten jetzt, es sei nun Johnsons Pflicht das Debakel, in das er die Briten gestürzt habe, auch ausbaden zu müssen. Seine Versprechen die Steuern für Unternehmen und Reiche zu senken, Versicherungsbeiträge für Geringverdiener zu erniedrigen und neue Freihandelszonen zu erschaffen, brachten dem eloquenten Ex-Außenminister jedenfalls genug Stimmen für einen Sieg.
Boris Chancen in Brüssel
Die EU ist vorerst skeptisch. In Brüssel ist Johnsons unkonventionelle und clownhafte Art längst bekannt und man hält sich vor der Spielernatur erstmal bedeckt. Brexit-Chefverhandler Michael Barnier twittert zwar höflich, dass er sich auf eine konstruktive Zusammenarbeit freue mit dem Ziel einen geregelten Austritt zu erreichen, aber sowohl er als auch die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gaben bekannt, dass an dem Abkommen selber nicht zu rütteln sei, sondern maximal an der politischen Erklärung. Hingegen ziehe sie wie auch Deutschlands Kanzlerin Merkel durchaus eine erneute Verschiebung des Brexits in Betracht. Johnsons Beliebtheitsgrad bei europäischen Politikern hält sich in Grenzen. Auch Österreichs EU-Abgeordnete gehen hart mit ihm ins Gericht. Sie kritisieren offen Johnsons Verhalten in den letzten Jahren und zweifeln an konstruktiven Lösungen von seiner Seite. Donald Trump hingegen ist hoch erfreut über seinen Sieg und lobt ihn in den höchsten Tönen, freut er sich doch bereits auf das geplante Freihandelsabkommen zwischen den beiden Ländern. Somit stecke Trump bereits mit einem Fuß in Europas Türen. In Großbritannien und der EU erfüllt dies viele mit Besorgnis und man hofft vermutlich wie Labour-Chef Corbyn auf baldige Neuwahlen, die diesem klamaukhaften Spiel endlich ein Ende bereiten. Johnson sieht Neuwahlen gelassen entgegen. Jeremy Corbyn, der Medienberichten zufolge innerhalb seiner Partei kontinuierlich an Ansehen verliert, scheint für ihn keine allzu große Gefahr mehr zu sein. Eine Neuwahl vor einem Brexit könnte aber zugunsten Nigel Farage Brexit-Partei ausgehen.
Will Johnson wirklich einen Hard Brexit?
Ob Johnson am 31. Oktober wirklich einen Hard Brexit durchziehen würde, wird mittlerweile von immer mehr Beobachtern angezweifelt. Sein wankelmütiger Charakter und sein lockeres Verhältnis zur Wahrheit haben bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass er zu unberechenbaren Handlungen tendiert. Aber was ihm wohl noch wichtiger ist als ein Brexit zu Halloween, ist das Amt des Premierministers von Großbritannien zu behalten. Das gibt der ehrgeizige, ehemalige Kolumnist, der schon als kleiner Junge der König der Welt werden wollte, nämlich nicht mehr so schnell auf. Bevor der Brexit Hardliner dutzende Abgeordnete aus den eigenen Reihen vergrolle um sich einem Misstrauensvotum der oppositionellen Partei anzuschließen, würde er sich sogar lieber von seinen früheren Meinungen distanzieren. Es wird bereits spekuliert, ob er nicht sogar Mays Abkommen mit kleineren Abänderungen dem Parlament vorlegen wird um sie den Abgeordneten als DIE Lösung zu verkaufen. Sein Ziel nicht nur das Land, sondern auch die Partei zu vereinen ist jedenfalls hochgegriffen. Viele geben ihm keine Chance und sehen ihn bereits scheitern – so wie seine Vorgängerin Theresa May.