Wie sinnvoll ist der Einsatz von ChatGPT im Zoll und Außenhandel?

In der Tarifierung und Klassifizierung besteht schon lange der Wunsch nach einer Artificial Intelligence Lösung. Doch inwiefern ist das umsetzbar? prodata hat dazu ChatGPT näher unter die Lupe genommen und Anwendungsgebiete für den Zoll und Außenhandel erschlossen.

Inhaltsverzeichnis

Komplette Automatisierung kann nicht funktionieren – Stimmt das?

Spätestens seit dem Aufkommen der Sprach-KI ChatGPT, stellen sich viele die Frage, wann der Tag kommt, an dem sie endgültig von einer Künstlichen Intelligenz ersetzt werden. Im Gegensatz zu vielen anderen Branchen, scheinen sich die Logistiker vor diesem Tag noch lange nicht fürchten zu müssen. Im Gegenteil: Dem fortwährenden Fachkräftemangel in der Logistik soll gezielt durch automatisierte Prozesse und KI entgegengewirkt werden.

In der Lagerlogistik führen smarte, bahnbrechende Lösungen bereits seit Längerem zu einer Reduzierung der Arbeitskräfte. Doch wie sieht das in der Zollabwicklung aus? Vor allem im Bereich der Tarifierung wird immer wieder die Frage gestellt, ob es nicht eine KI-basierte Lösung gäbe. Die Antwort ist schwierig, müsste die Künstliche Intelligenz doch dazu fähig so sein, so ziemlich alles, was es auf dieser Welt gibt, zu klassifizieren, und das auch noch korrekt.

Der Chatbot ChatGPT sorgt jedenfalls für viel Diskussionsstoff und verblüffende Reaktionen. Dabei vergessen viele, dass ChatGPT ein Sprachverarbeitungsmodell und kein Wissensmodell ist. Diese Unterscheidung ist essentiell, wenn man diese Technologie für den Einsatz in einem bestimmten Gebiet wie Zoll und Außenhandel in Betracht ziehen will. Für das Verfassen von Mainstream-Blogartikeln, Websitetexten oder der Erledigung lästiger Schularbeiten ist die Sprach-KI gut geeignet. Wenn es jedoch um die Kontrolle und Verifizierung KI-generierter Ergebnisse in Nischenthemen oder eigene kreative Denkleistung geht, braucht es nach wie vor den Menschen. Derzeit sieht man ChatGPT und vergleichbare Systeme eher als eine neue Art von Werkzeug, das man in Arbeitsabläufe integrieren kann, aber keine Mitarbeiter ersetzt.

Wozu ist ChatGPT derzeit in der Lage?

Die Anforderungen an eine Aufgabenstellung, die man ChatGPT vorlegt, müssen sorgfältig durchdacht werden. Wer bereits mit ChatGPT kommuniziert hat, weiß, dass man seine Frage „richtig“ stellen muss um eine zufriedenstellende Antwort zu erhalten. Oft dauert es länger die passende Formulierung zu finden, als die Aufgabe selbst zu erledigen. Darüber hinaus ist eine Überarbeitung der gelieferten Texte bei anspruchsvolleren Themen notwendig.

Der Versuch einen Blogartikel über zollrelevante Themen schreiben zu lassen, ist bisher gescheitert. Mitunter liegt es auch daran, dass der Chatbot lediglich Zugriff auf Daten im Internet bis ins Jahr 2021 hatte. Aktuelle Themen im Außenhandel konnten somit noch nicht berücksichtigt werden. Mit dem Zugriff zu Echtzeitinformationen, welcher kürzlich für den eine begrenzte Anzahl von Usern im angloamerikanischen Sprachraum zum Testen freigegeben wurde, wird sich das in naher Zukunft ändern.

Die Suchmaschinen Bing von Microsoft (basierend auf GPT-4) und „Bard“ von Google (basierend auf der hauseigenen KI LaMDA) sind derzeit noch sehr fehleranfällig, vermutlich jedoch vielversprechend, sobald sie aus ihren Kinderschuhen gewachsen sind. Google setzt dabei derzeit auf weniger kreative Formulierungen, jedoch mehr Treffsicherheit bezüglich Fakten.

Anwendungsgebiete im Zoll und Außenhandel

Wissensvermittlung

Laut KI-Experten stehen wir vor einer neuen Form der Wissensvermittlung. Durch die Schaffung von innovativen Lehr- und Lernsystemen können Kompetenzen und Qualifikationen auf ganz neue Weise in Unternehmen gebracht werden. Die Bedürfnisse der auszubildenden Generationen haben sich weitgehend verändert. Die Generation Z kennt die reine analoge Welt nicht mehr und legt mehr Wert auf sinnstiftende Arbeit und Work-Life-Balance. Sowohl den Arbeitsplatz als auch Skilltransfer mit KI attraktiver zu gestalten und monotone Prozesse zu eliminieren, ist eine Möglichkeit Personal im Logistikbereich anzuwerben und zu halten. Eine nicht überwachte Ausbildung durch KI wird aber erst nach der Eliminierung der Kinderkrankheiten möglich sein.

Zollberatung

ChatGPT liefert durchaus brauchbare Antworten, wenn es um einfache Zollberatungen oder Wissensvermittlung geht. Genauso wie die allseits bekannte Suchmaschine Google stellt der Chatbot Informationen zur Verfügung, jedoch mit dem Unterschied, dass er die Antwort vollständig ausformuliert. Zollbegriffe werden auf Wunsch sogar mit Verweis auf die Quelle erklärt. Zudem ist die Sprach-KI beim Verfassen von Nachrichten, Anträgen oder Einsprüchen an die Zollbehörde eine Unterstützung, die sich durchaus sehen lassen kann. Die Funktionen sind allerdings noch mit Vorsicht zu genießen, als wirksames Tool zur Produktivitätssteigerung eignet es sich aber allemal.

Erkennen von Bildern

Das Nachfolgemodell GPT-4, das ab sofort für zahlende Plus-Kunden (mit zusätzlicher App) ausprobiert werden kann, ist in der Lage Bilder, Grafiken und Dokumente zu erkennen und zu interpretieren. Im Zollbereich haben wir diese Funktion noch nicht getestet. Der Traum jedes Tarifierungsexperten sich die Waren künftig durch Bildaufnahmen klassifizieren zu lassen, rückt damit zumindest ein kleines Stück näher.

Mehrsprachigkeit

Mit der neuen Version wurde auch die Mehrsprachigkeit ausgebaut. 26 Sprachen soll GPT-4 mittlerweile beherrschen. Im Außenhandel ist diese Fähigkeit von enormer Bedeutung. Der Vorgänger GPT 3.5 hat allerdings noch Einschränkungen, welche sich neben einer gewissen Fehleranfälligkeit auch in einer einfacheren Sprache bemerkbar macht. Erwähnenswert ist, dass ChatGPT derzeit noch eine gewisse Tonalität besitzt und seinem eigenen Stil folgt. GPT-4 soll in dieser Hinsicht etwas kreativer sein.

Zum Praxistest im Zoll und Außenhandel mit ChatGPT gehts hier.

Die Grenzen im Zoll und Außenhandel

Die Antworten, die ChatGPT gibt, wirken auf den ersten Blick flüssig und überzeugend. Die enormen sprachlichen Fähigkeiten können jedoch täuschen. Manchmal erzeugt die Sprach-KI faktische Unwahrheiten, welche unter KI-Forschern als „Halluzinationen“ bezeichnet werden. Der Chatbot weist im Kleingedruckten sogar daraufhin, dass ChatGPT ungenaue Informationen über Personen, Orte oder Fakten liefern kann.

Ist sich der Chatbot seiner Wissenslücken „bewusst“, verweist er zumindest auf eine professionelle Beratung durch einen Experten. Ein integrierter Sicherheitsfilter, welcher die ethischen Werte des Ursprungslandes von ChatGPT (der Entwickler Open AI sitzt in den USA) berücksichtigt, ermöglicht zudem den Hinweis auf die Begehung einer Straftat. Fragt man ChatGPT zum Beispiel mit welchen Zolltarifnummern man Importkosten sparen kann, erhält man den Hinweis, dass dies ist illegal ist und man sich an die geltenden Richtlinien zur korrekten Einreihung halten muss. In der Version 3.5 kann dieser Filter mit einigen Tricks noch umgangen werden. Spätestens mit der neuen Version GPT-4 soll Schluss mit „anstößigen“ Inhalten sein und zusätzlich die Fehlerquote um 40% gesenkt werden.

Auf die Lieferung einer konkrete Zolltarifnummer oder eines Dual-Use Code für eine bestimmte Ware zu vertrauen, ist trotzdem nicht ratsam. In einigen Fällen liefert ChatGPT zwar eine richtige Nummer, doch faktisch korrekte Antworten darf man nicht erwarten. Sehr zum Leid mancher Zollsachbearbeiter, die ihre Hoffnungen auf die neue Technologie gesetzt haben. Aber wieso ist das so? Dazu müssen wir die Funktionsweise von ChatGPT näher betrachten.

Wieso sich ChatGPT nicht zur Tarifierung eignet

Wie eingangs erwähnt ist ChatGPT ein Sprachverarbeitungsmodell und kein Wissensmodell, zumindest derzeit noch. Es imitiert Sprache nach statistischen Berechnungen. Zu Grunde liegt unter anderem ein mehrdimensionaler, semantischer Raum, in dem nahe verwandte Wörter in der Nähe liegen. Mit Hilfe von Matrizen und Vektoren wird in dutzenden Durchgängen berechnet, welche Sätze, Antworten und Aussagen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit in einem bestimmten Kontext passend sind. Daher rührt auch die Fehleranfälligkeit des Sprachmodells.

Damit Künstliche Intelligenz funktionieren kann, muss sie zudem jahrelang mit Inhalten trainiert und weiterentwickelt werden. Im Falle von ChatGPT sind das Milliarden von Wörtern, die auf Webseiten im Netz mit Stand 2021 veröffentlicht waren.

ChatGPT imitiert also Sprache und arbeitet nicht nach der Logik wie ein Tarifierungsexperte eine Einreihung in den Zolltarif vornehmen würde. Das folgende Beispiel aus der Praxis soll zeigen, warum ChatGPT hier an seine Grenzen stoßen kann.

Praxisbeispiel:

Tarifierungsexperte A benennt einen Elektromotor im Materialstamm als „x“ , während Experte B ihn lieber als „y“ bezeichnet. Im Materialstamm von ERP System C ist wiederum nur der Standardtext aus dem Zolltarif hinterlegt, welchen wir zu Veranschaulichungszwecken in dem Beispiel als falsch zugeordnet annehmen wollen.

In den Fällen A und B könnten daher zwei unterschiedliche Zolltarifnummern vorgeschlagen werden. Im Fall C bestätigt er eine richtige Einreihung, deckt aber den Fehler nicht auf. Die KI würde in dem gebrachten Beispiel nicht erkennen, dass es sich bei jeder der drei Waren um ein und dasselbe Produkt mit der gleichen Zolltarifnummer handelt.

ChatGPT 3.5 orientiert sich an einer Momentaufnahme des World Wide Web mit Stand 2021 und nicht an dem aktuellen Zolltarif. Selbst wenn er diesen mit dem anstehenden Zugriff auf Echtzeitinformationen aus dem Web als Basis nehmen würde, würden die kurzen, textuellen Beschreibungen, welche im System über eine Ware vorhanden sind, für eine GPT-gestützte, automatisierte Tarifierung nicht ausreichen um eine fehlerfreie Einreihung vorzunehmen.

Liegen in einem Unternehmen keine tiefergehenden Kenntnisse über die Vorgangsweise der korrekten Tarifierung, nämlich die Berücksichtigung der stofflichen Beschaffenheit und des Verwendungszwecks, vor, kann die Fragestellung an ChatGPT bereits zu mangelhaft für eine richtige Antwort sein. Sonderfälle wie beispielsweise Küchenmesser aus Keramik, welche nicht unter die allgemeinen „Tisch- oder Küchenmesser und -scheren aus nichtelektrischem Edelstahl“, sondern unter „Tafel- und Küchengeräte aus Keramik“ fallen, könnten beispielsweise falsch eingereiht werden. 

Datenqualität ist das A und O

Um eine Künstliche Intelligenz zur Tarifierung zu erschaffen, braucht es einen umfangreichen und hochwertigen Datenkatalog, der der Logik der Tarifierung folgt. Der Erfolg hängt außerdem sehr stark von der Datenqualität in den jeweiligen Unternehmen ab. Diese ist bei weitem nicht immer so gut, wie sie propagiert wird. Eine automatisierte Datenaufbereitung funktioniert umso besser, je besser die Daten aufeinander abgestimmt sind. Es sollte daher jedem Tarifierungsexperten bewusst sein, dass ein gewisser Beitrag seitens des Anwenders zur Automatisierung geleistet werden muss.

Am besten funktioniert das durch konstruktives Teamwork zwischen KI-Experten und Tarifierungsspezialisten. Wie ChatGPT muss die KI-basierte Lösung zur Tarifierung anschließend von qualifizierten Fachkräften trainiert werden. Dies bedeutet stetige Kontrolle der Ergebnisse und kann Jahre in Anspruch nehmen. Ob eine automatisierte Bildaufnahme sowie Gewicht- und Größenermittlung die manuelle Beschreibung der Ware ersetzen kann, ist ebenfalls noch zu eruieren.

Bis die Fehlerquote durch die KI so gering ist, dass der Fachexperte weitgehend ersetzt werden kann, wird es wohl noch eine Koexistenz von Menschen und Maschinen geben. Die Devise ist: Automatisieren dort, wo es sinnvoll ist. Und den Menschen dort einsetzen, wo er seine Fähigkeiten entfalten kann.

Einladung zur Expertenrunde Zoll und Tarifierung – Melden Sie sich jetzt an!

 prodata erarbeitet derzeit ein neues Konzept für ein SAP® integriertes Tarifierungs- und Klassifizierungstool sowie der Möglichkeit diese KI-basiert zu entwickeln. Dazu laden wir in unserem Kunden- und Partnernetzwerk zu einer „Expertenrunde Zoll und Tarifierung“ ein, in der gemeinsam die Anforderungen erörtert werden sollen. Wir hoffen auf zahlreiche Anmeldungen und freuen uns auf einen regen und produktiven Austausch.

Termin: 04.05.2023, 9:00 – 11:00 (online via Teams)

Anmeldungen bitte per Mail an Alexander Hanisch

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